Das Leipziger Schauspielhaus: Eine Bühne der Vielfalt und Avantgarde
Ein historisches Theater im Herzen Leipzigs
Das Leipziger Schauspielhaus, ein Privattheater in der südlichen Vorstadt Leipzigs (heute Zentrum-Süd), befand sich in der Sophienstraße 17–19, die heute Shakespearestraße heißt. Gegründet 1874, wurde das Theater in seiner Geschichte zu einem wichtigen kulturellen Ort der Stadt. Es diente als Bühne für Literatur, Operetten, Avantgarde und Kabarett, bevor es im Zweiten Weltkrieg, am 4. Dezember 1943, durch einen Luftangriff vollständig zerstört wurde.
Die Entstehung und frühe Jahre des Theaters
Das Theatergebäude entstand in den Jahren 1873–1874 nach den Plänen des Baumeisters Otto Stengel. Es wurde als Hofgebäude mit einem zur Straße ausgerichteten Vorderhaus errichtet und am 11. Oktober 1874 unter dem Namen Carl-Theater eröffnet. Zunächst wurden vorwiegend Schwänke, Possen und Operetten aufgeführt, oft mit wechselnden Direktoren und Ensembles.
Im Jahr 1887 übernahm der Direktor der städtischen Bühnen, Max Staegemann, das Haus und benannte es in Carola-Theater um, zu Ehren der damaligen sächsischen Königin. Unter seiner Leitung wurde das Theater hauptsächlich im Winterhalbjahr für Vaudeville-Aufführungen genutzt.
Der Wandel zum Leipziger Schauspielhaus
1899 entschied die Stadtverwaltung, den Pachtvertrag mit Staegemann aufzuheben, und Anton Hartmann übernahm das Haus. Mit seinem Oberspielleiter Arthur Eggeling führte er das Theater in eine neue Ära, in der seichtere Unterhaltungsstücke zunehmend verdrängt wurden. 1902 wurde das Theater unter dem neuen Namen Leipziger Schauspielhaus eröffnet, und die Spielstätte entwickelte sich zu einem Zentrum für literarische Werke und moderne Dramen.
Unter Hartmann wurden Werke von bedeutenden Autoren wie Arthur Schnitzler, Henrik Ibsen und Molière aufgeführt. Mit dieser Ausrichtung gewann das Theater schnell an Bedeutung und zog ein breites Publikum an. Nach Hartmanns Tod im Jahr 1912 übernahm Fritz Viehweg die Intendanz, unter dessen Führung das Schauspielhaus eine Heimstätte für junge Literatur und Avantgarde wurde.
Höhepunkte der Theatergeschichte
Unter Viehwegs Leitung wurde das Leipziger Schauspielhaus zu einer experimentellen Bühne, auf der Werke von Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind, August Strindberg und Lew Tolstoi aufgeführt wurden. Auch während der schwierigen Kriegs- und Nachkriegsjahre hielt sich das Theater dank der Gründung der Leipziger Theatergemeinde, die durch den Verkauf von Anteilscheinen den Fortbestand der Bühne sicherte.
Die Aufführungen reichten von klassischen Dramen bis hin zu modernen Skandalstücken. So sorgten Inszenierungen wie Bruckners Krankheit der Jugend oder Langers Peripherie für großes Aufsehen. Ein weiterer Höhepunkt war der Auftritt des Moskauer Kammertheaters im Jahr 1929/30, das mit kontroversen Inszenierungen wie Ostrowskis Gewitter und O’Neills Gier unter Ulmen in Leipzig gastierte.
Glanzzeit und internationale Gäste
Die 1930er-Jahre brachten weitere Meilensteine in der Geschichte des Theaters. Die Uraufführung von Ritter Nérestan, später unter dem Titel Mädchen in Uniform bekannt, brachte der Autorin Christa Winsloe und der Schauspielerin Hertha Thiele großen Erfolg. Auch die Comedian Harmonists erlebten 1930 mit ihrem ersten abendfüllenden Programm Tempo Varieté im Leipziger Schauspielhaus den Durchbruch.
Bekannte Schauspieler wie Sarah Bernhardt, Eleonora Duse, Curt Goetz, Max Reinhardt und Inge Meysel traten im Laufe der Jahre auf der Bühne des Schauspielhauses auf und machten es zu einem international renommierten Ort für Theaterkunst.
Das Ende des Leipziger Schauspielhauses
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 begann der Niedergang des Theaters. Werke von Autoren wie Bertolt Brecht und Georg Kaiser wurden zunehmend aus dem Spielplan verdrängt, und politische Einflussnahme machte dem Privattheater zu schaffen. Trotz einiger Publikumserfolge, wie dem Lustspiel Krach im Hinterhaus, war das Schauspielhaus wirtschaftlich nicht mehr zu halten. 1938 wurde es in den Verband der Städtischen Bühnen eingegliedert, und am 15. Mai 1938 fand die letzte Vorstellung mit Schillers Kabale und Liebe statt.
Das endgültige Ende kam am 4. Dezember 1943, als das Gebäude durch Bombenangriffe zerstört wurde.
Bekannte Schauspieler mit Gastrollen am Leipziger Schauspielhaus
Das Leipziger Schauspielhaus war Gastgeber für zahlreiche nationale und internationale Schauspielgrößen, darunter:
- Sarah Bernhardt (1903/04)
- Eleonora Duse
- Curt Goetz (1927/28, 1929/30)
- Max Reinhardt Ensemble (1925/26)
- Grete Mosheim (1932/33)
- Inge Meysel (1931/33)
- Paul Wegener (1932/33)
- Asta Nielsen (1925/26)
Fazit
Das Leipziger Schauspielhaus war mehr als nur eine Bühne – es war ein kultureller Treffpunkt, an dem sich die Avantgarde, die klassische Literatur und das gesellschaftliche Leben Leipzigs kreuzten. Von seiner Eröffnung im Jahr 1874 bis zu seiner Zerstörung 1943 prägte es das Theaterleben der Stadt maßgeblich und bleibt bis heute ein bedeutender Teil der Leipziger Theatergeschichte.