Die Paulinerkirche: Ein Stück Leipziger Geschichte
Die Entstehung der Paulinerkirche
Die Gründung des Dominikanerklosters und der Bau der Kirche
Die Paulinerkirche, offiziell als Universitätskirche St. Pauli bekannt, ist ein bedeutendes historisches Bauwerk in Leipzig. Die Kirche wurde 1240 als Teil des Dominikanerklosters St. Pauli geweiht, das im Jahr 1231 in der Nähe des Grimmaischen Tores innerhalb der Stadtmauern von Leipzig gegründet wurde. Die Dominikaner, die im Volksmund auch „Pauliner“ genannt wurden, spielten eine wichtige Rolle im religiösen und sozialen Leben der Stadt.
Die Architektur der Paulinerkirche war typisch für die Bettelorden des 13. Jahrhunderts, die sich durch schlichte, aber funktionale Bauweisen auszeichneten. Die Kirche besaß einen einschiffigen Chor und ein dreischiffiges Langhaus. Im Laufe der Jahrhunderte erfuhr die Kirche zahlreiche Erweiterungen, darunter die Marienkapelle, die 1393 von der Familie Pflugk gestiftet wurde. Diese Kapelle an der Nordseite der Kirche war die erste von mehreren Anbauten, die im 15. Jahrhundert folgten, darunter die Haugkwitzsche und Leimbachsche Kapelle.
Die Rolle der Paulinerkirche im Mittelalter
Die Paulinerkirche war nicht nur ein religiöses Zentrum, sondern auch ein Ort der Bildung und Wissenschaft. Schon im Mittelalter zog sie zahlreiche Gläubige und Gelehrte an. Die enge Verbindung zur Universität Leipzig, die 1409 gegründet wurde, machte die Paulinerkirche zu einem wichtigen Schauplatz akademischer und religiöser Veranstaltungen. Die Kirche diente auch als Begräbnisstätte für bedeutende Persönlichkeiten der Universität, was ihre Bedeutung als Ort des Gedenkens und der Erinnerung unterstrich.
Die Paulinerkirche und die Universität Leipzig
Die Reformation und die Umgestaltung zur Universitätskirche
Mit der Ausbreitung der Reformation in Deutschland erlebte die Paulinerkirche einen tiefgreifenden Wandel. 1539 wurde der Dominikanerkonvent aufgelöst, und die Kirche wurde 1545 von Martin Luther persönlich als evangelische Universitätskirche geweiht. Dieser Schritt markierte einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der Kirche und der Universität. Im Zuge der Umgestaltung zu einem evangelischen Gotteshaus wurden zahlreiche katholische Elemente entfernt, darunter die Altäre und der Lettner. Die Kapellen auf der Nordseite der Kirche wurden abgerissen, mit Ausnahme der Pflugkschen Kapelle, die weiterhin als Zugang zur Kirche diente.
Die Paulinerkirche als Zentrum akademischen Lebens
Seit ihrer Weihe als evangelische Universitätskirche diente die Paulinerkirche sowohl als Gottesdienstraum als auch als Aula für akademische Festakte. Die Kirche war Schauplatz zahlreicher wichtiger Ereignisse in der Geschichte der Universität Leipzig. Zu den bemerkenswerten Persönlichkeiten, die hier bestattet wurden, zählen der Jurist Johann Christoph Marci und der Historiker Christian Friedrich Franckenstein. Auch Johann Sebastian Bach war eng mit der Paulinerkirche verbunden; einige seiner Werke, darunter BWV 226, wurden hier uraufgeführt.
Die Paulinerkirche im 19. und 20. Jahrhundert
Veränderungen und Herausforderungen im 19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert erlebte die Paulinerkirche bedeutende bauliche Veränderungen. Während der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 diente die Kirche als Gefangenenlager und Lazarett. Mit der Schleifung der Stadtbefestigung nach 1785 wurde der ehemals zur Stadtmauer gerichtete Kirchengiebel zum Augustusplatz hin freigelegt. Im Zuge der Errichtung des Augusteums, des neuen Hauptgebäudes der Universität, wurden die an die Kirche angrenzenden ehemaligen Klostergebäude abgerissen. Die Schaufassade der Kirche wurde 1836 der klassizistischen Fassade des Augusteums angepasst.
Ein Höhepunkt in der Geschichte der Paulinerkirche war die Aufführung von Händels Oratorium Israel in Ägypten durch Felix Mendelssohn Bartholdy am 7. November 1836. In dieser Zeit erlebte die Kirche auch den Bau einer neuen Hauptorgel durch Johann Gottlob Mende im Jahr 1841, die später von Friedrich Ladegast umgebaut wurde. Die neogotische Umgestaltung der Kirche und der Bau eines campanileähnlichen Turms an ihrem Westgiebel zum Albertinum hin prägten das Erscheinungsbild der Kirche im späten 19. Jahrhundert.
Die Paulinerkirche im 20. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg
Die Paulinerkirche spielte auch im 20. Jahrhundert eine bedeutende Rolle im kulturellen und religiösen Leben Leipzigs. Während der Völkerschlacht 1813 diente sie als Gefangenenlager und Lazarett. Die Kirche erhielt um 1900 eine kleine Orgel von der Firma Johannes Jahn, die später von der Firma Eule erweitert wurde. Diese Schulorgel mit acht Registern diente der Ausbildung und dem täglichen Gebrauch.
Das architektonische Ensemble aus Paulinerkirche und Augusteum prägte die Westseite des Augustusplatzes bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit. Trotz der schweren Beschädigungen, die viele Gebäude in Leipzig während des Krieges erlitten, überstand die Paulinerkirche den Krieg nahezu unversehrt und wurde auch von der katholischen Propsteigemeinde genutzt, deren eigene Kirche zerstört worden war.
Die Nachkriegszeit und die Zerstörung der Paulinerkirche
Stadtplanung und politischer Druck
Nach dem Zweiten Weltkrieg sahen sich die Stadtplaner in Leipzig mit der Herausforderung konfrontiert, die beschädigten und zerstörten Gebäude wieder aufzubauen. Die Universität Leipzig hatte über 60 % ihrer Räumlichkeiten verloren und arbeitete unter provisorischen Bedingungen weiter. Dennoch wurde der Wiederaufbau der historischen Gebäude lange hinausgezögert.
1959 beschloss das SED-Politbüro, das alte Augusteum zu erhalten und die Universitätskirche auf Rollen nach Westen zu versetzen, um Platz für einen Neubau zu schaffen, der den sozialistischen Charakter der Universität betonen sollte. Doch als sich herausstellte, dass eine Versetzung der Kirche nicht realisierbar war, geriet das Neubauprojekt in Gefahr. Schließlich entschied man sich, die historischen Gebäude zugunsten eines politisch-kulturellen Zentrums abzureißen.
Die Sprengung der Paulinerkirche
Am 30. Mai 1968 wurde die Paulinerkirche trotz breiten Widerstands aus der Bevölkerung gesprengt. Die Entscheidung zur Sprengung wurde von der SED-Führung unter Walter Ulbricht getroffen, der die Entfernung der Kirche als notwendiges Zeichen für die sozialistische Neugestaltung der Stadt ansah. Die Trümmer der Kirche wurden in eine Sandgrube in Leipzig-Probstheida verbracht. Der Widerstand gegen die Sprengung, insbesondere aus Kreisen der Theologischen Fakultät, führte zu mehreren Festnahmen und Verurteilungen, darunter der Theologiestudent Nikolaus Krause, der wegen „inneren Protestes“ zu 22 Monaten Haft verurteilt wurde.
Ein weiterer bemerkenswerter Protest war das Entrollen eines großen Plakats während des III. Internationalen Bachwettbewerbs in Leipzig, das die Umrisse der Paulinerkirche zeigte und die Forderung nach einem Wiederaufbau enthielt. Dieser Protest erregte internationale Aufmerksamkeit, doch die Staatssicherheit verfolgte die Beteiligten bis in die 1970er Jahre.
Die Erinnerung an die Paulinerkirche und das Paulinum
Das Paulinum: Ein neues Kapitel
An der Stelle der gesprengten Paulinerkirche wurde das Paulinum errichtet, ein modernes Gebäude, das als Aula und Universitätskirche St. Pauli dient. Der Bau greift in seiner Architektur Elemente der ehemaligen Kirche auf und steht als Symbol für die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart. Am 1. Advent 2017 wurde die neue Universitätskirche St. Pauli mit einem Festgottesdienst von Landesbischof Carsten Rentzing eingeweiht.
Gedenken an die Zerstörung
Zur Erinnerung an die Zerstörung der Paulinerkirche wurde 1998 eine Installation an der Wand des Universitäts-Hauptgebäudes angebracht. Diese 34 Meter hohe Stahlkonstruktion zeichnet den Kirchengiebel in Originalgröße nach und dient als Mahnmal für die Verluste, die Leipzig in seiner Geschichte erlitten hat.
Heute erinnert das Paulinum an die alte Universitätskirche und deren Bedeutung für die Stadt Leipzig und die Universität. Es steht als Symbol für das fortdauernde Erbe und die kulturelle Identität einer Stadt, die trotz ihrer wechselvollen Geschichte ihre Wurzeln nicht vergessen hat.