Die Gründung der Leipziger Universität

Die Gründung der Leipziger Universität

Als deutsche Magister und Scholaren, von der Universität Prag kommend, wo sie ihre Sonderrechte im Zusammenhang mit der revolutionären hussitischen Bewegung verloren, Anfang Juni des Jahres 1409 in Leipzig einzogen, fanden sie schnell Unterstützung und günstige Aufnahmebedingungen.

Die Stadt war bereits als Handels- und Messemetropole weithin bekannt, hatte eine verkehrsgünstige Lage, besaß vielerlei wirtschaftliche Beziehungen mit andern Ländern und Städten, profitierte vom erzgebirgischen Bergbau und wurde von wohlhabenden Bürgern bewohnt und verwaltet, die Bildungsbestrebungen durchaus aufgeschlossen gegenüberstanden. Schon am 4. Juli 1409 kaufte der Stadtrat ein Haus in der Petersstraße, das er den »Meistern der Künste«, also den Magistern der Artistenfakultät, schenkte. Einige Wochen darauf wählten diese ihren Dekan, und so begann die Universität ihr erstes Semester mit 46 Lehrern und 369 immatrikulierten Studenten, bevor sie überhaupt offiziell eröffnet war.

Das konnte erst geschehen, nachdem die Privilegierungsurkunde Papst Alexanders V. ausgehändigt wurde und die beiden Landesherren, Markgraf Friedrich und Markgraf Wilhelm, den Stiftungsakt vollzogen. In ihrer Anwesenheit fand schließlich die Eröffnung der Universität am 2. Dezember 1409 im Refektorium des Thomasstifts auf feierliche Weise statt. Erster Rektor wurde Johannes Otto aus Münsterberg, der mit von Prag gekommen war.

Universität mit Pauliner Kirche, Ansichtskarte ohne Datierung
Universität mit Pauliner Kirche, Ansichtskarte ohne Datierung / Bild-Quelle: http://www.zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG (gemeinfrei)

Den meisten Universitätsgründungen des 14. Jahrhunderts – Prag 1348, Wien 1365, Heidelberg 1386 – lagen landesherrlich-territorialstaatliche Interessen zugrunde, so auch in Leipzig. Dem aufstrebenden wettinischen Territorialstaat konnte eine Hochschule sehr nützlich sein. Deshalb schenkten ihr die Landesherren zwei Häuser, das Große und das Kleine Fürstenkolleg in der Ritterstraße und in der Schloßgasse, und sie gewährten einen Jahresetat von 500 Gulden, wovon insgesamt 20 Magister besoldet werden mußten. Das war allerdings im Vergleich zu ihren sonstigen fürstlichen Einnahmen und Ausgaben eine lächerliche Summe, zum Beispiel 0,68 Prozent Gesamteinnahmen von 1445. Beinahe das Achtfache dieser 500 Gulden benötigte der Landesherr 1471 für seinen Weinkeller. Die Hochzeit Herzog Georgs in Leipzig 1496 kostete gar 21000 Gulden. Von einer großzügigen Förderung der Universität konnte deshalb keine Rede sein, wenn sich auch 1438 ihr Jahresetat auf etwa 685 Gulden erhöhte. Allerdings hatte sie gegenüber der Stadt ein bedeutendes Vorrecht, sie war von jeglichen Steuern, Diensten und Lasten befreit und auch nicht der städtischen Gerichtsbarkeit unterstellt. Zusätzliche Einnahmen erwuchsen der Universität durch die Studiengebühren für Immatrikulationen und Prüfungen, einzelnen Hochschullehrern durch die Nutzung kirchlicher Pfründen. Insgesamt gesehen blieb die materielle Ausstattung der neuen Hochschule recht bescheiden.

Überhaupt hatte die Leipziger Universitätsgründung eine widersprüchliche Bedeutung. Obwohl sie einen Fortschritt im spätmittelalterlichen Bildungswesen darstellte und den primitiven Zustand des klösterlichen Schulwesens in den Städten, speziell in Leipzig, überwinden half, waren ihre Hochschullehrer konservativ eingestellt. Als Gegner der hussitischen Bewegung hielten sie auch an der Nationenverfassung fest. Die »Nationen« faßten die Magister und Studenten entsprechend ihrer Herkunftsgebiete in eine meißnische, sächsische, bayerische und polnische zusammen. So erfaßte die bayerische die aus den süddeutschen, die polnische die aus den ostdeutschen sowie slawischen Ländern kommenden Studenten, während die meißnische Nation alle Studenten aus der Markgrafschaft selbst und die sächsische diejenigen aus Nordwestdeutschland
und Skandinavien in sich aufnahm. Denn noch nannte sich die Markgrafschaft Meißen nicht Sachsen! Erst als im Jahr 1423 das Herzogtum Sachsen-Wittenberg, an dem die Kurwürde hing, an die Wettiner gelangte, entstand zur Unterscheidung von Niedersachsen die Bezeichnung Obersachsen. Nach der Universitätsverfassung hatten diese vier Nationen Einfluß auf die Berufungen, und aus ihrer Mitte wählte man den Rektor sowie die Mitglieder des Konsiliums. Neben diesen vier rechtlich-politischen Korporationen bestanden gleichfalls vier Fakultäten. Die Artistenfakultät – die spätere philosophische – vermittelte gewissermaßen die Grundausbildung, denn an ihren Vorlesungen mußten alle Studenten teilnehmen, die nach einem akademischen Grad dieser Fakultät strebten oder an einer der »oberen« Fakultäten weiterstudieren wollten. Als ranghöchste galt die Theologische Fakultät. Sie erforderte den längsten Studiengang und führte danach häufig zur Erlangung geistlicher Ämter. Die Juristische Fakultät beschränkte sich ursprünglich auf die Lehre des kanonischen Rechts. Aber seit 1457 wurde auch das römische Recht gelehrt und seit der Eröffnung des markgräflich-meißnischen Oberhofgerichts in Leipzig 1488 in stärkerem Maße das Zivilrecht.

Augusteum der Universität Paul Wolff, Leipzig die wunderschöne Stadt, Hinrichs’sche Buchhandlung
Augusteum der Universität
Paul Wolff, Leipzig die wunderschöne Stadt, Hinrichs’sche Buchhandlung (gemeinfrei)

Eine Medizinische Fakultät existierte seit 1415, aber erst 1438 erfolgte die Berufung von zwei Professoren für praktische und theoretische Medizin. Jeder Fakultät stand ein Dekan vor, der bei den Juristen Ordinarius genannt wurde. Eine gehobene Stellung unter ihnen besaß der Dekan der Artistenfakultät.

Von den bekannten Universitätslehrern der Gründungsperiode wurde schon der erste Rektor, Johannes Otto aus Münsterberg, genannt. Er war Theologe und stiftete ein Haus am Brühl für die aus Schlesien und Preußen stammenden Magister. Mit ihm kam aus Prag auch Johannes Hofmann, 1413 Rektor und ein erbitterter Gegner der Hussiten, die er mit theologischen Schriften traktierte; 1427 wählte man ihn zum Bischof von Meißen. Es kam überhaupt häufiger vor, daß Leipziger Universitätslehrer nach einigen Jahren die Hochschule verließen, um in einflußreiche Ämter aufzusteigen. So wurden die Rektoren Vincenz Gruner zum Abt des Klosters Altzelle und Nikolaus Weigel zum Abgeordneten der Universität beim Konzil in Basel berufen. Der Jurist Johannes von Schleinitz ging als Bischof nach Naumburg, sein Amtsbruder Arnold von Westphal ins gleiche Amt nach Lübeck. Ebenfalls einem Juristen, Johannes Tylich, verdanken wir eine der ältesten Darstellungen zur sächsischen Landesgeschichte, denn er schrieb um 1420 eine Geschichte der Markgrafen von Meißen. Es zeichnete sich immer deutlicher ab, daß Leipziger Universitätslehrer und Studenten im landesherrlichen Dienst gut zu verwenden waren. Der verhältnismäßig geringe materielle Einsatz der wettinischen Landesfürsten begann also auch in dieser Hinsicht, nützliche Früchte zu tragen.

Wie aber verlief das Studium und das studentische Leben an der Universität? Kamen die Studenten in sehr jugendlichem Alter und ohne Vorbildung nach Leipzig, mußten sie zunächst das Pädagogium besuchen, das an der Artistenfakultät seit 1441 extra dafür eingerichtet worden war. Studenten mit Elementarwissen konnten dagegen gleich die Vorlesungen dieser Fakultät belegen, die für alle obligatorisch waren. Hier herrschte die scholastische Lehrweise vor, die nur in der Vermittlung bekannten Wissens bestand und selbständiges Denken ausschloß. Der Hochschullehrer war »Pauker«; eine Wechselbeziehung zwischen Forschung und Lehre gab es nicht, weil eine wissenschaftliche Forschung nicht existierte. Die Lehrtätigkeit umfaßte die Unterweisung in Grammatik, Dialektik im Sinne der scholastischen Logik, Rhetorik und den vier höheren Fächern der sogenannten Sieben Freien Künste: Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Nach zwei Jahren Studium – bei den Juristen nach drei Jahren – konnte der Scholar zur Baccalaureatsprüfung zugelassen werden. Hatte er sie bestanden, vermochte er schon selbst Unterricht an der Artistenfakultät zu erteilen. Weitere zwei Jahre Studium brachten die Voraussetzung zur Magisterprüfung. Sie war wiederum Vorbedingung für Studien in den drei oberen Fakultäten der Juristen, Mediziner und Theologen. Das studentische Leben vollzog sich in Kollegien und Bursen und hatte zunächst große Ähnlichkeit mit klösterlicher Zucht und Ordnung. Die Kollegien – zu dem Großen und Kleinen waren bald noch zwei weitere, die im »Brühl« standen, hinzugekommen – boten Raum für Lehrer und Schüler zum Wohnen und Lernen genauso wie die Bursen, welche gleichsam Internate darstellten. So gab es die Burse Zum Einhorn in der Nikolaistraße, den Fuchszagel (Fuchsschwanz) in der Ritterstraße, die Bursa bavarica für die Angehörigen der bayerischen und die Bursa saxonica für die Angehörigen der sächsischen »Nationen«, die ebenfalls in der Ritterstraße lagen. Außerdem existierten noch Privatbursen, so die Bursa Heinrici (nach dem Besitzer Heinricus Behr genannt), die besonders Adlige aufnahm, oder die des Dr. Schmiedeberg. Schon 1432 beziehungsweise 1441 mußte die Bestimmung eingeschränkt werden, daß Studenten ausschließlich in Kollegien und Bursen zu wohnen hatten. Wenn es sehr streng zuging – denn die Magister führten die Aufsicht -, mußte früh um vier oder fünf Uhr aufgestanden werden. Der Tagesablauf wechselte nur durch Studium und Gebete. Auch die Mahlzeiten nahm man gemeinsam ein, wobei es meist mager und eintönig zuging: immer wieder Grütze, Suppe, Mus, Magerfleisch, selten Braten oder Nachtisch. Dagegen wurde um so mehr getrunken, denn allein die acht Kollegiaten des Kleinen Fürstenkollegs durften nach einem Privilegium 80 Faß fremdes Bier pro Jahr steuerfrei einführen, reichten aber nur ein halbes Jahr damit. Einen anschaulichen Eindruck gibt der Brief eines in Leipzig studierenden Schweden aus Upsala 1424, der in seine Heimat berichtete:

»Unter den Studenten sind Barone, Ritter, Magister, Pröpste, Dekane und andere geistliche Herren. Ich wohne im Kleinen Kolleg, bei Tisch führt ein Magister die Aufsicht, der eigene Schlüssel und eigenen Krug hat. Das Essen ist reichlich und gut, auch das Bier und der Wein. Für Zehrung und Unterhalt brauche ich die Woche 6 neue Groschen, obwohl ich die Getränke selbst kaufen muß. Der Ordinarius liest morgens von 5 bis 7 Uhr im zweiten Buche der Dekretalen. Wer sich genügend vorbereiten will, muß schon um vier Uhr aufstehen.«

Finanzielle Hilfe für unbemittelte Studenten gab es kaum. Zwar brauchten pauperes keine Immatrikulations-
und Prüfungsgebühren entrichten, aber für ihre Unterhaltskosten mußten sie selbst sorgen. Nur ganz wenige vermochten, unter diesen Bedingungen den jahrelangen Weg zu höheren akademischen Würden durchzuhalten. Meist mußten sie sich schon bald nach einer Verdienstmöglichkeit umsehen.

Unter den Studenten herrschten zum Teil sehr rauhe Sitten. Schon beim Eintritt in das Studentenleben und in die Burse war eine Zeremonie üblich – die sogenannte Deposition -, die symbolisch den Neuling aus einem Tier in einen gebildeten Menschen verwandeln sollte. Der beanus oder Bacchant genannt, mußte diesen Verwandlungsprozeß in phantastischer Verkleidung über sich ergehen lassen, bekam große Hörner auf- und Holzzähne eingesetzt, die ihm dann herausgerissen wurden, mußte sich die Haare mit einem Riesenkamm mehr
durchrupfen als kämmen lassen. Ferner wurden symbolhaft der Bart geschnitten, die Ohren gereinigt, der Körper gehobelt und mit Wasser übergossen. Schließlich mußte der Bacchant das Salz der Weisheit schlucken und bekam den Wein der Freude auf das Haupt. Das Ganze endete meist mit einem großen Trinkgelage. Nun war der Student in die Gemeinschaft aufgenommen, äußerlich erkennbar in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch die studentische Tracht: einem langen Mantel mit Gürtel, einer Kapuze und talarartigem Rock ähnlich dem Mönchsgewand. Aber schon nach einigen Jahrzehnten überwog die Tendenz, modische Kleidung zu tragen, die eng anliegend alle Körperformen besonders betonte.

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